Nachruf auf Elmar Zeitler

17. Februar 2021

Der ehemalige Direktor des Fritz-Haber-Instituts, Prof. Dr. Elmar Zeitler, ermöglichte viele Fortschritte in der Elektronenmikroskopie. Im Dezember 2020 verstarb er leider im hohen Alter. Prof. Dr. Robert Schlögl erinnert ihn als hartnäckigen und bescheidenen Wissenschaftler und blickt auf seine wissenschaftlichen Leistungen zurück.

Prof. Elmar Zeitler verstarb am 19. Dezember 2020 in Berlin. Er war Wissenschaftliches Mitglied und Direktor am Fritz-Haber-Institut von 1977 bis zu seiner Emeritierung 1995. Elmar war Vollblutphysiker und immer an einer quantitativen und analytischen Lösung von Fragestellungen interessiert. Die Rückführung eines Problems auf fundamentale Tatsachen der Physik und Optik war ihm stets das wesentliche Anliegen. Gleichzeitig war Elmar davon durchdrungen, Anderen bei der Lösung ihrer praktischen Probleme mit seinen fundamentalen Beiträgen zu helfen. Er war ein Ermöglicher zahlreicher Fortschritte der Elektronenmikroskopie. Dies gelang ihm besonders gut durch seine persönliche Art immer die Sache und niemals seine eigene Person in den Vordergrund zu rücken.

Nach seiner Promotion 1953 in Würzburg zum Thema „Untersuchungen über die harte Sekundärstrahlung der kosmischen Strahlung“ arbeitete er bis 1958 bei Bayer in Leverkusen an der wissensbasierten Vervollkommnung der wissenschaftlichen Fotographie. Ein Forschungsaufenthalt am Karolinska Institutet in Stockholm 1958 weckte sein Interesse an der Elektronenmikroskopie biologischer Objekte, ein Thema das ihn den Rest seines Lebens begleiten würde. Nach seiner Rückkehr an die Universität Würzburg, wo er sich 1960 habilitierte, hielt er die Vorlesung „Physik für Mediziner“. In dieser Zeit entwickelte er eine Methode mittels quantitativer Kontrastanalyse eine lokale Massebestimmung eines (biologischen) Objektes durchzuführen. Diese Methodik hätte mit den modernen Mikroskopen leicht verwirklicht werden können, war zu seiner Zeit aber ein experimentelles Kunststück, zu dem Elmar auch die analytisch exakte Grundlage schuf.

Danach folgte seine „amerikanische Phase“ am Walter Reed Hospital in Washington und als Professor am Department of Physics and Biophysics der Chicago University, wo er bis 1977 wirkte. In dieser Zeit beschäftigte den Professor der Physik der Strahlschaden an medizinischen Präparaten und die Notwendigkeit der digitalen Rekonstruktion. In dieser Funktion vermittelte Elmar Zeitler seine profunden Kenntnisse in der Optik und der mathematischen Beschreibung der Wechselwirkung von Elektronen und Materie an zahlreiche Studierende, die seine Methodik in ihre eigene Forschung übernehmen sollten. Wissenschaftlich befasste er sich mit der Entwicklung der Rastertransmissionsmikroskopie (STEM) und mit der dafür nötigen punktförmigen Elektronenquelle (Feldemissionsverfahren). Er realisierte auf der Basis eines kommerziellen Elektronenmikroskops eine selbst gebaute Feldemissionsquelle. Gleichzeitig generierte auf einem Zentralcomputer Software für die Bildrekonstruktion basierend auf seinen Arbeiten zur analytischen Beschreibung der 3-dimensionalen Rekonstruktion von 2-dimensionalen Bildern. Eine Publikation über Hämoglobin und Sichelzellenanämie („Electron microscopy of fibers and discs of HemoglobinS having sixfold symmetry“, Proc. Natl. Acad. Sci. USA, vol 74, (1977) p. 5538) zeigte das Potential dieser Methode auf. Die Arbeit ist charakteristisch für das Wirken von Elmar Zeitler der sich gleichzeitig mit allen Aspekten der Mikroskopie von der Probenpräparation über die Abbildungsmethodik hin zur Entwicklung von Instrumentierung und der digitalen Datenanalyse befasste.

1977 wurde Elmar Zeitler als Nachfolger von Ernst Ruska an das Fritz-Haber-Institut berufen. Mit den hinzugewonnenen experimentellen Möglichkeiten der Abteilung von Ernst Ruska, der als Emeritus noch lange am Institut verblieb, konnte Elmar seine Vorstellungen einer fundamentalen Lösung des Strahlschadensproblems umsetzen und die Spektroskopie des Energieverlustes im Mikroskop mit den Möglichkeiten der Realraumabbildung als Mikro-Spektroskopie entwickeln. Das fundamentale Anliegen seiner Arbeit in Berlin war es, die Wechselwirkung hochenergetischer Elektronen mit Materie zu beherrschen und zu nutzen. Ihre negative Seite sind die Phänomene des Strahlschadens, wodurch die Abbildung vor allem biologsicher Objekte sehr erschwert wird. Die positive Seite ist die Information über die lokale elektronische Struktur der abgebildeten Atome, die der ausgehende Elektronenstrahl mit sich trägt. Die Antworten auf diese Herausforderung waren die Cryoelektronenmikroskopie und die Elektronenenergieverlustspektroskopie (EELS). Das folgende Zitat zeigt, wie sehr Elmar sich der fundamentalen Bedeutung seiner Arbeit bewusst war und wie er kritisch seine Wissenschaft betrachte:

In most cases, the development of a field does not follow logical lines. There are bandwagons which lead wayward; sometimes stumbling blocks are bypassed because a new direction may point to potential success. Problems are glossed over, put in abeyance or simply forgotten, repressed or whatever other psychological terms might be fitting. But as in fashion or psychology, finally they come out of the closet. One such challenge is radiation damage – (E.Z. Ultramicroscopy vol.10, 1982, p. 1)

Elmar Zeitler fasste die Cryomikroskopie als ein System von Maßnahmen auf, um die Beobachtung eines Objektes so zu organisieren, dass es in seinem nativen Zustand sichtbar wurde. Er realisierte supraleitende Objektivlinsen um stabile magnetische Felder zu nutzen (dies wird heute durch moderne Elektronik erreicht), er entwickelte Verfahren der Präparation von Proben in amorphem Eis und er entwickelte Probenhalter für Tieftemperaturexperimente (beides bis heute im Gebrauch). Zur vollkommenen 3-D Rekonstruktion der Projektionsbilder aus dem Mikroskop waren grundsätzliche Überlegungen zur Bildrekonstruktion und die digitale Bildverarbeitung erforderlich, die Elmar in leistungsfähiger Form realisieren konnte und damit seiner Zeit weit voraus war. In der ihm eigenen Art ermöglichte Elmar die Verbreitung seiner Konzepte und Ideen durch Kooperationen. Industrielle Nutzer kommerzialisierten seine Technologien. Wissenschaftler führten entsprechende Pionierexperimente mit der in Berlin vorhanden Hard- und Software durch. So entstand die Schlüsselpublikation für das heute höchst aktuelle Feld der bioloschen Cryomikroskopie „Model for the Structure of Bacteriorhodopsin based on High-resolution Electron Cryo Microscopy“ (J. Mol. Biol. (1990, vol 213, p. 899) von der Gruppe Henderson aus Cambridge. In diesem Papier sind zwei Mitarbeiter von Elmar Zeitler (F. Zemlin und E. Beckmann) als Experimentatoren Koautoren, nicht aber Zeitler selbst, obgleich er hinter all der damals aufgebauten Maschinerie und Konzeption steckte.

Die EELS Methode war für Elmar Zeitler das Verfahren der Wahl um sich der elektronischen Struktur leichter Atome (wie in biologischen Proben) nähern zu können und dabei die gleiche Information zu erhalten, wie sie für schwerere Atome mittels der Röntgenspektroskopie gut zugänglich ist. Die langwierige technische Realisation eines Spektrometers mit ausreichender Auflösung wurde wiederum in Kooperation erfolgreich erprobt, diesmal mit Sir John Thomas aus Cambridge. Allerdings waren Andere zu dieser Zeit mit einer technisch robusteren Lösung experimentell erfolgreicher. Die bis heute problematische Entfaltung der Spektren von ihrem Untergrund blieb dagegen ein Thema von Elmar Zeitler bis zum Ende seiner wissenschaftlichen Tätigkeit.

Elmar Zeitler engagierte sich weiterhin intensiv für das Hauptarbeitsgebiet des Fritz-Haber-Institutes. Die damals wie heute nicht gut gelöste Definiertheit der Probenumgebung eines Elektronenmikroskops wurde vielfach experimentell angegangen, aber die Resultate waren überschaubar. Sehr viel erfolgreicher war die Kombination einer UHV Oberflächenphysik für Präparation und Manipulation von Metalloberflächen mit anschließendem Transfer in ein Elektronenmikroskop und der Abbildung der Oberfläche in Reflexion. Diese Methode wurde von einer Gruppe von Mitarbeitern der Abteilung Zeitler perfektioniert und konzeptionell gründlich untersucht. Hätte es nicht die Entwicklung der Rastersondenmethoden etwa zur gleichen Zeit gegeben, wäre diese Technik, die auch heute noch zahlreiche Vorteile bieten könnte, nicht vergessen. Mehr Erfolg hatte die Entwicklung eines UHV-fähigen Photoelektronen-Emissionsmikroskops (PEEM), das basierend auf früheren Realisierungen Anderer durch seine robuste Konstruktion hervorragende Funktionseigenschaften hatte. Dieses Instrument ermöglichte zahlreiche Arbeiten in allen Abteilungen des Fritz-Haber-Institutes und wurde nach der „Methode Zeitler“ durch Kooperation mit einem Unternehmen kommerzialisiert und damit der gesamten Community zugänglich gemacht, die es heute intensiv nutzt. Und wiederum fehlt der Name Zeitler auf der entsprechenden Schlüsselpublikation.

Seine deutsch-amerikanische Vita und seine kooperative Art gaben Elmar Zeitler viele Gelegenheiten sich in der Gemeinschaft der Elektronenmikroskopie zu engagieren, die er sowohl aus methodischer als auch aus der Sicht der großen Untergruppe der biologischen Mikroskopie kannte. Elmar war berühmt für seine vielfältigen Geschichten aus seinem reichen Leben, die aus seinem Munde immer den menschlichen Faktor hinter rigoroser Wissenschaft erlebbar machten. Die Gründung eines Journals „ultramicroscopy“ im Jahr 1975, das von einer ganzen Anzahl von Fachgemeinschaften getragen wird, ist ein bleibendes Verdienst – insbesondere in Anbetracht dessen, dass damals derartige Vorhaben noch durchaus unüblich waren und viel persönliche Überzeugungskraft benötigten.

Elmar Zeitler war ein kompromissloser Wissenschaftler. Er verlangte von sich und seinen Mitarbeiter*innen die rigorose Analyse von Problemen und die unnachgiebige Verfolgung eines einmal eingeschlagenen Weges unabhängig von den auftretenden Problemen. Umwege und Aufgeben gab es nicht.  Gleichzeitig war Elmar Zeitler sehr liberal und förderte in seiner Abteilung das Nebeneinander von Arbeitsgruppen, die sich mit sehr unterschiedlichen Fragen beschäftigten, solange sie nur rigoros grundsätzlich daran arbeiteten. Er förderte die Karrieren seiner Mitarbeiter*innen, die sich weiterentwickeln wollten und baute gleichzeitig ein Team von permanent beschäftigten Expert*innen der Elektronenmikroskopie auf, die das methodische Rückgrat seiner Forschung bildeten. Er war bis zum Ende seiner Tätigkeit selbst wissenschaftlich tätig und betrieb ein Privatlabor, in dem er mit wenigen Mitarbeiter*innen experimentierte. Elmar Zeitler pflegte immer einen kooperativen Arbeitsstil mit einem sehr weiten Netzwerk an persönlichen Beziehungen. Eine Tradition, die auf ihn zurückgeht ist der alljährliche Neujahrsempfang für alle Mitarbeiter des Fritz-Haber-Institutes.

Auch nach seiner Emeritierung im Jahre 1995 begleitete Elmar Zeitler die Weiterentwicklung seiner ehemaligen Abteilung mit seinem Rat. Die Elektronenmikroskopie spielte weiter eine wichtige Rolle, allerdings wandelte sich die Wissenschaft von der methodischen Fortentwicklung hin zur Fortentwicklung ihrer Nutzung in den Diensten der Katalyseforschung. Elmar Zeitler hat die Möglichkeiten der Max-Planck-Gesellschaft zur Umsetzung eigener wissenschaftlicher Vorstellungen und eines individuellen Arbeitsstils vorbildlich ausgenutzt. Seine kooperative und nach außen bescheidene Art mag der Würdigung seiner Verdienste geschadet haben, doch die Wissenschaftler der Elektronen-mikroskopie und alle diejenigen die mit ihm arbeiteten, werden seine Erinnerung bewahren.

Prof. Robert Schlögl

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