Die Ultraschnelle Dynamik der Atombewegung aus der Sicht der Elektronen

8. Juli 2019

Unser Verständnis der Chemie wurde durch Filme molekularer Bewegungen in atomarer Auflösung revolutioniert. Den wirklichen Ablauf chemischer Reaktionen, also das Brechen und Entstehen von Bindungen, zeigt erst der Blick auf Elektronen und ihre Dynamik, der Forscher*innen der Abteilung Physikalische Chemie kürzlich gelungen ist.

In den letzten Jahren wurden „molekularen Filme“ aufgenommen, in denen die Bewegung der Atome im Verlauf einer chemischen Reaktion sichtbar gemacht wurden. Um chemische Transformationen oder Phasenübergänge in Festkörpern zu verstehen, also warum bestimmte Bindungen brechen und andere entstehen, muss man auch die Anordnung der Elektronen verstehen. Diese führt die Atome entlang von Gradienten in einer von den Elektronen definierten Energielandschaft. Solch ein „Elektronenfilm“ ist nötig, um ein vollständiges Bild der Mechanismen zu erhalten, die chemische Reaktionen antreiben.


Ein Team aus Forscher*innen des Fritz-Haber-Instituts in Berlin und von der Universität Paderborn haben nun Elektronen während einer lichtinduzierten Reaktion gefilmt. Sehr kalte und nur ein Atom dünne Schichten von Indiumatomen auf einem Siliziumkristall bilden sechseckige Strukturen. Sehr kurze Lichtblitze führen dazu, dass die Indiumatome sich umsortieren und leitende Drähte aus Atomen bilden. Dieser Phasenübergang wird also durch einen Lichtimpuls ausgelöst, der die für die Umstrukturierung nötige Energie in das System bringt. Mit Hilfe der zusätzlichen Energie strukturieren Elektronen die Energielandschaft für die Atome um. Die Atome beginnen sich sofort zu bewegen, die deutlich schnelleren Elektronen wiederum reagieren auf die Veränderung der Atomanordnung. Dieses dynamische Zusammenspiel von Elektronen und Atomen wurde mit Hilfe zeit- und winkelaufgelöster Photoemissionsspektroskopie aufgezeichnet: Nachdem die Strukturänderung durch einen ersten Laserpuls eingeleitet wurde, wird ein zweiter ultrakurzer Laserpuls verwendet, um einige der Elektronen zu unterschiedlichen Zeiten aus dem Material zu emittieren. Dieser Prozess wurde milliardenfach wiederholt und aufgezeichnet. Die Kombination dieser Experimente mit Simulationen der Elektronenstruktur und -dynamik ermöglichte es, die gemessene elektronische Strukturdynamik des Phasenübergangs der Indium-Nanodrähte in einen Film über die Atomenergielandschaft zu übersetzen. Diese detaillierte Rekonstruktion des Reaktionsweges zeigt nicht nur die Bewegung der Atome, sondern auch die Bildung und Auflösung von chemischen Bindungen während des Phasenübergangs.

Der von den Autor*innen demonstrierte experimentelle Ansatz ist allgemein anwendbar, um beispielsweise strukturelle Phasenübergänge in Feststoffen oder chemische Reaktionen von Molekülen zu studieren. Der theoretische Rahmen zur Beschreibung der elektronischen Struktur in Kristallen und Molekülen unterscheidet sich sehr stark, während Elektronen in Molekülen als Bindungen zwischen wenigen Atomen beschrieben werden, werden Elektronen in einem Kristall als weitreichende Bandstrukturen verstanden. Die vorliegende Arbeit aus der Abteilung Physikalische Chemie schlägt eine Brücke zwischen diesen Sichtweisen zur Beschreibung photoinduzierter Reaktionen. Das Verständnis der elektronischen Struktur der Bindungsdynamik kann in Zukunft die Anpassung von chemischen Reaktionen und Phasenübergängen durch gezielte Lichtimpulse ermöglichen.

Weitere interessante Beiträge

Zur Redakteursansicht