Mit Röntgenstrahlen flüssige chirale Moleküle identifizieren
Zucker, Aminosäuren, Medikamente – chirale Moleküle gibt es überall. Forscher:innen des AQUACHIRAL Projekts am Fritz-Haber-Institut haben mit Röntgenstrahlung haarfeine Flüssigkeitsstrahlen dieser Moleküle durchleuchtet. Mit einer neuen Methode können sie nun erstmals deren Bestandteile in flüssiger Form voneinander unterscheiden – und zwar so gut wie nie zuvor.
Chirale Moleküle kommen in der Natur sehr häufig vor. Zucker zum Beispiel besteht aus chiralen Molekülen, ebenso wie viele Aminosäuren, auch unser Körper ist aus diesen Bausteinen aufgebaut. Chiralität bedeutet, dass solche Moleküle chemisch in zwei Formen vorkommen, deren geometrische Strukturen sich wie Bild und Spiegelbild verhalten. Sie haben die gleiche Masse und die gleichen Bestandteile, sind aber nicht identisch. Spiegelt man die eine Form, so passt sie genau auf die andere, einfach aufeinandergelegt passen die beiden Formen jedoch nicht.
Trotz dieser Symmetrie haben sie sehr unterschiedliche Eigenschaften. Man nehme zum Beispiel das chirale Molekül Carvon: eine Form riecht nach Minze, die andere nach Kümmel. Das ist besonders in der Herstellung von Arzneimitteln wichtig, da immerhin sieben der zehn häufigsten Medikamente chirale Moleküle enthalten. In der Regel hat jedoch nur eine der beiden Formen die gewünschte Wirksamkeit, während die andere nur unnötigen Ballast darstellt und die Wirksamkeit des Medikaments beeinträchtigt. Um effiziente und sichere Arzneimittel herzustellen, ist es wichtig, die richtige Form zu identifizieren und zu verwenden.
Aufgrund ihrer Ähnlichkeit ist es jedoch nicht einfach, die beiden Formen zu unterscheiden. Für biologische Prozesse ist vor allem die Unterscheidung von chiralen Molekülen in einer wässrigen Umgebung wichtig, weil die Wechselwirkung mit der Umgebung die Moleküle auch chemisch verändern kann. Wissenschaftler:innen des AQUACHIRAL-Projekts am Fritz-Haber-Institut (FHI) haben nun erstmals einen Weg gefunden, eine besonders detaillierte Unterscheidung von Molekülen in der Flüssig-Phase mittels Röntgenstrahlung eines Synchrotron-Teilchenbeschleunigers zu ermöglichen. Dafür untersuchten sie flüssiges Fenchon, das in Fenchelöl und vielen anderen ätherischen Ölen vorkommt. Um es analysieren zu können, brachten sie es in die Form eines haarfeinen Strahls und bestrahlten ihn am Deutschen Elektronen-Synchroton (DESY) in Hamburg mit weicher Röntgenstrahlung. „Diese Röntgenstrahlen haben sehr energetische Photonen,“ erklärt Dr. Bernd Winter, der das vom Europäischen Forschungsrat geförderte AQUACHRIAL-Projekt leitet. „Wenn diese Photonen auf den Flüssigkeitsstrahl treffen, werden Elektronen erzeugt. An denen können wir dann messen, welche Form des Moleküls in dem Strahl enthalten ist.
Neu an dieser Methode ist die Art der Strahlung. Die passt sich nämlich den ‚Händigkeiten‘ der chiralen Moleküle, also den unterschiedlichen Formen, an (man spricht von sogenannten ‚Händigkeiten‘, weil der Prototyp für diese Symmetrie die menschlichen Hände sind). Diese kann man am besten identifizieren, wenn man zirkulare Röntgenstrahlung benutzt, die ebenfalls ‚händig‘ ist. „Es gibt gewissermaßen links- und rechts-drehende Moleküle,“ sagt Uwe Hergenhahn, wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Molekülphysik am Fritz-Haber-Institut, „und die bestrahlen wir dann mit Röntgenlicht, das sich ebenfalls rechts oder links herumdreht, wie eine Schraube.“ Aus den Flugwinkeln der Elektronen, die sich so bilden, kann man die Händigkeit des Moleküls ableiten. „Diese Art des zirkularen Röntgenlichts, die unter anderem auf Louis Pasteur zurückgeht, war schon länger bekannt. Doch das PETRA III Synchrotron schafft noch stärkere Strahlung mit viel genaueren Ergebnissen als je zuvor“, erklärt Florian Trinter, Postdoktorand am FHI und assoziierter Beamline Wissenschaftler am DESY in Hamburg.
Diese Methode ist ein wichtiger Schritt für bessere Analysen biologischer und organischer chiraler Moleküle, die in der Zukunft auch für sicherere Ergebnisse in der Biochemie und Pharmazie sorgen können. Nachdem es möglich geworden ist, diese Experimente an Flüssigkeiten durchzuführen, möchten die Mitarbeiter:innen des AQUACHIRAL-Projekts als nächsten Schritt Moleküle in der Umgebung untersuchen, in der sie in lebenden Organismen vorkommen, z.B. in Wasser.