Oberflächen unter realistischen Bedingungen

5. Juli 2022

Forscher des NOMAD-Labors am Fritz-Haber-Institut haben sich damit beschäftigt, wie sich Oberflächen im Kontakt mit reaktiven Gasphasen, d. h. unter verschiedenen Temperatur- und Druckbedingungen, verändern. Hierzu haben sie die sogenannte Replica-Exchange-Grand-Canonical-Methode (REGC) entwickelt. Die Ergebnisse wurden am 17. Juni in der Zeitschrift Physical Review Letters veröffentlicht.
 

"Replikat-Austausch" bedeutet, dass es viele Replikate gibt, die für die Siliziumoberfläche in Kontakt mit verschiedenen Wasserstoffatmosphären vorbereitet werden. Diese Nachbildungen tauschen sich während der Simulation untereinander aus.  "Grand-canonical" bedeutet, dass die Siliziumoberfläche in jeder Replik Deuteriumatome oder -moleküle mit dem Deuteriumgasreservoir austauscht, das sie berührt, und schließlich das Gleichgewicht mit dem Deuteriumgasreservoir erreicht.

Die Kenntnis der Morphologie und der strukturellen Entwicklung von Materialoberflächen in einer gegebenen reaktiven Atmosphäre ist eine Voraussetzung für das Verständnis des Mechanismus von z. B. heterogenen Katalysereaktionen und der Elektrokatalyse aufgrund der Struktur-Eigenschafts-Leistungsbeziehung. Generell ist die zuverlässige Verfolgung von Phasengleichgewichten von technologischer Bedeutung für die sinnvolle Gestaltung von Oberflächeneigenschaften.

Phasenübergänge werden durch Singularitäten einer Reaktionsfunktion (z. B. der Wärmekapazität) angezeigt.

FHI-Forscher haben sich dieser Herausforderung gestellt und die Replica Exchange Grand Canonical (REGC)-Methode in Verbindung mit Molekulardynamik entwickelt. Der Ansatz erfasst nicht nur die Umstrukturierung der untersuchten Oberfläche unter verschiedenen reaktiven Bedingungen, sondern identifiziert auch Oberflächen-Phasenübergangslinien sowie Tripel- und kritische Punkte.

Die dissoziative Adsorption von molekularem Wasserstoff auf der Siliziumoberfläche ist zu einem entscheidenden Kriterium bei der Untersuchung von Adsorptionssystemen geworden und hat wichtige Anwendungen wie zum Beispiel die Passivierung von Oberflächen. Der REGC-Ansatz wird anhand einer Siliziumoberfläche in Kontakt mit einer Deuterium-Atmosphäre demonstriert. Im Bereich von 300 bis 1 000 Kelvin identifiziert der REGC-Ansatz 25 verschiedene thermodynamisch stabile Oberflächenphasen. Die meisten der identifizierten Phasen, einschließlich einiger Phasenübergänge zwischen Ordnung und Unordnung, wurden bisher noch nicht experimentell beobachtet. Außerdem wird gezeigt, dass die dynamische Bildung bzw. Brechung von Si-Si-Bindungen die treibende Kraft hinter dem Phasenübergang zwischen den experimentell bestätigten Adsorptionsmustern ist.

Die REGC-Methode ermöglicht es, traditionelle Konzepte der statistischen Mechanik kondensierter Materie mit modernsten Berechnungen der elektronischen Struktur zu verbinden, um Stabilitätsphasendiagramme realer Systeme vorherzusagen. Darüber hinaus hat der Ansatz einen bedeutenden Einfluss auf die Berechnungen von Oberflächenumstrukturierungen im Bereich der Oberflächenwissenschaften und ist potenziell für eine Vielzahl wichtiger Anwendungen wie heterogene Katalyse, Elektrokatalyse und Oberflächenentmischung relevant.

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