Wenn Maschinen sich nicht irren: 
Atomare Einblicke in defektfreies Wachstum von Graphen

7. Dezember 2022

Dedizierte Synchrotron-Experimente bestätigen die sub-atomare Genauigkeit der mittels maschinellem Lernen vorhergesagten Adsorptionshöhe von Graphen auf Flüssigmetallkatalysatoren. Derartig verlässlich bieten die KI-Verfahren ein neues mächtiges Werkzeug zum Verständnis des Wachstumsprozesses dieses Zukunftswerkstoffes selbst unter extremsten Bedingungen.
 

Graphen hat Eigenschaften wie im Bilderbuch. Es ist gleichzeitig unvergleichlich stark und flexibel, es ist wasserdurchlässig und filtert doch Gase, es ist transparent wie Glas und leitet trotzdem Strom besser als jedes Metall – und bei all dem ist es auch noch hauchdünn. Es besteht nur aus einer einzigen Lage von Atomen. Kein Wunder, dass das Interesse an diesem Wunderwerkstoff (Nobelpreis 2010) nicht abreißt. Leider zeigt Graphen alle diese Eigenschaften nur wenn es quasi defektfrei ist, und genau damit hapert es bisher bei der kommerziellen Herstellung. 

Vor kurzem konnte jedoch gezeigt werden, dass auf Kupferkatalysatoren Graphen von extrem hoher Qualität gewachsen werden kann. Der Trick ist das Kupfer bei über 1100 Grad Celsius zu schmelzen, so dass das Wachstum auf der flüssigen Metalloberfläche stattfindet. Warum diese extremen Bedingungen aber ein defektfreies Wachstum derart begünstigen ist momentan noch weitestgehend unverstanden. Gleichzeitig erschweren die hohen Temperaturen und Gasflüsse während des Wachstumsprozesses die notwendige Gewinnung von Einblicken auf atomarer Skala. Viel Hoffnung liegt daher auf Verfahren des maschinellen Lernens, die hochgenaue quantenmechanische Simulationstechniken genügend beschleunigen können, um in sogenannten Molekulardynamiksimulationen die hohe Beweglichkeit der Atome auf der flüssigen Kupferoberfläche richtig zu berücksichtigen. Bislang gibt es jedoch kaum Erfahrung wie verlässlich diese KI-Methoden wirklich sind. 

Als wichtigen Benchmark haben Forscher des Fritz-Haber-Instituts (FHI) daher die Höhe mit der die wachsende Graphenschicht über dem flüssigen Kupferkatalysator schwebt mittels diesen Methoden vorhergesagt und im Rahmen eines europäischen Verbundprojektes mit den Messungen in aufwändigen Synchrotron-Experimenten verglichen. Das Ergebnis ist verblüffend. Die Maschinen lagen bis auf 10-11 m richtig, also bis auf weniger als ein Millionstel einer Haaresbreite. Diese hohe, im Fachjargon als „Sub-Ångstrøm“ bezeichnete Präzision demonstriert eindrucksvoll die Eignung der neuen KI-Methoden für die Gewinnung von detaillierten Erkenntnissen über den mikroskopischen Wachstumsprozess. „Unsere Ergebnisse zeigen die hohe Leistungsfähigkeit dieses neuen Ansatzes“, fasst der Leiter des FHI-Teams Dr. Heenen stolz zusammen. „Überraschenderweise deuten die Daten der Adsorptionshöhe von Graphen eine chemisch nahezu identische Wechselwirkung von Graphen mit festem und flüssigem Kupfer an. Das macht die überlegene Synthese auf dem flüssigen Metallzustand noch mysteriöser.“ Wie so oft in der Wissenschaft stellen sich mit einer geklärten Frage daher viele weitere – zumindest haben die Forscher aber mit dem KI-Ansatz ein neues mächtiges Werkzeug zu ihrer Hilfe.

 

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