Geschichte des Fritz-Haber-Instituts

Institutsgründung

Die Gründung des heutigen Fritz-Haber-Instituts (damals das Kaiser-Wilhelm-Institut für physikalische Chemie und Elektrochemie) wurde parallel zur Gründung des Kaiser-Wilhelm-Institutes für Chemie im Jahre 1911 beschlossen. Da jedoch die Mittel, die damals der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Verfügung standen, nur für das Chemie-Institut ausreichten, war diese zweite Gründung nur dank der großzügigen Stiftung eines Industriellen und Bankiers, des Königlich Sächsischen Geheimen Kommerzienrates Leopold Koppel, möglich.

Am 28. Oktober 1911 wurde die Stiftungsurkunde im Namen der "Koppel-Stiftung zur Förderung der geistigen Beziehungen Deutschlands zum Ausland" in Berlin gemeinsam mit einem Vertreter des preussischen "Ministers der geistlichen und Unterrichtsangelegenheiten" unterzeichnet. Die "Organe" des Instituts waren laut Stiftungsurkunde: (a) der Stiftungsrat, der sich aus Vertretern der Koppel-Stiftung und des Ministeriums zusammensetzte, (b) der wissenschaftliche Beirat, in den die Akademien der Wissenschaften in Berlin, Göttingen, Leipzig und München sowie die Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin insgesamt sechs Vertreter entsandten, die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft und die Koppel-Stiftung je zwei Vertreter benannte, und (c) der Direktor des Instituts.

Für Bau und Einrichtung stellte die Stiftung die Summe von 700.000 Mark sowie einen jährlichen Zuschuß zu den Betriebskosten in Höhe von 35.000 Mark für die Dauer von 10 Jahren zur Verfügung. Als sich heraußtellte, daß die Einrichtungskosten damit nicht ausreichend gedeckt waren, stellte Koppel anläßlich der Einweihungsfeierlichkeiten weitere 300.000 Mark zur Verfügung. Der preußische Staat steuerte jährlich 50.000 Mark zu den Betriebskosten, einschließlich des Gehalts für den Direktor in Höhe von 15.000 Mark bei und stellte das Baugelände auf der Königlich-Preußischen Domäne Dahlem zur Verfügung.

Die Baupläne entwarf der Hofarchitekt Seiner Majestät, der Geheime Oberhofbaurat Ernst von Ihne, der auch die anderen Kaiser-Wilhelm-Institute in Dahlem plante. Seine Bemühungen, ästhetische Gesichtspunkte mit den Erfordernißen der wissenschaftlichen Arbeit zu vereinen, werden dadurch illustriert, daß er die Dächer mit thüringischem Schiefer decken und die Fassaden grau tönen ließ, "damit keinerlei farbige Strahlung in die Arbeitsräume gelangen sollte, welche bei den Untersuchungen als störend empfunden werden könnte". Bemerkenswert für diese Gründungsjahre der KWG ist, daß schon am 23. Oktober 1912 und nur 11 Monate nach Baubeginn für ein Gebäude von ca. 18.000 m3 Bauvolumen mit 2.500 m2 Nutzfläche die Einweihung und Arbeitsaufnahme erfolgte. Die Verwaltung des Instituts spielte sich im Sekretariat des Direktors ohne jede Bürokratie ab.

Fritz Haber wurde aufgrund eines Gutachtens des berühmten schwedischen Physiko-Chemikers Svante Arrhenius zum Direktor berufen. Habers Person und seine vorangegangene wissenschaftliche Arbeit entsprachen in besonderem Maße dem Ziel dieser Neugründung, durch Grundlagenforschung auf dem Gebiet der Physikalischen Chemie der damals in ihrer Weltgeltung schon führenden deutschen chemischen Industrie neue Impulse für ihre Entwicklung zu geben. Die Mitarbeiterzahl im Jahre 1913/14 betrug fünf wissenschaftliche Mitarbeiter, zehn Angestellte und dreizehn unbezahlte Mitarbeiter mit einem Etat für Personal und Betrieb von 70.000 Mark, außer dem Gehalt des Direktors.

Der Erste Weltkrieg

Mitten in der Anlaufphase des Instituts brach der Erste Weltkrieg aus, der die Aufgaben radikal veränderte. Das Institut wurde der Heeresverwaltung unterstellt und übernahm kriegswichtige Forschungsaufgaben. Dabei ereignete sich schon 1914 bei der Untersuchung von Sprengstoffen eine schwere Explosion, welcher Otto Sackur, ein sehr hoffnungsvoller junger Physiker, zum Opfer fiel. 

Dem Zeitgeist entsprechend bot sich Fritz Haber selbst dem Kriegsministerium zur Übernahme von Aufgaben der Rohstoffversorgung an, da er im Gegensatz zur militärischen Führung sehr schnell die Bedeutung dieses Faktors für die Kriegsführung erkannte. Von Patriotismus getrieben, plante Haber den Einsatz chemischer Kampfstoffe und leitete deren ersten Großeinsatz im Jahre 1915, weil er glaubte, daß damit der Stellungskrieg überwunden und der Krieg schnell entschieden werden könnte.

Mit der Fortdauer des Krieges entwickelte sich das Institut zu einer zentralen Forschungsstätte für die Kampfstoffentwicklung und den Schutz gegen Kampfstoffe. Habers Kollege und Freund Richard Willstätter vom Nachbarinstitut für Chemie entwickelte auf seine Bitte den Atemschutzfilter für die Gasmaske. Das Institut wurde durch Baracken-Anbauten erweitert, zum Teil wurden auch Räume der anderen Kaiser-Wilhelm-Institute in Dahlem belegt, und eine große Zahl von Wissenschaftlern (unter ihnen Ferdinand Flury, James Franck, Herbert Freundlich, Otto Hahn, Reginald Oliver Herzog, Erich Regener und Heinrich Wieland) mit bis zu mehr als 2000 Hilfskräften wurde für die Bearbeitung solcher Aufgaben eingesetzt.

Fritz Habers militärischer Einsatz brachte ihm nach Kriegsende von Seiten der Alliierten schwere Vorwürfe wegen Kriegsverbrechen ein, die jedoch die Schwedische Akademie der Wissenschaften nicht daran hinderten, ihn für seine Verdienste um die Ernährung der Menschheit durch die Entwicklung der Ammoniak-Synthese 1919 mit dem Nobelpreis für das Jahr 1918 auszuzeichnen.

Die Jahre 1919-1933

Nach dem Ende des Krieges konnte sich Haber wieder der Grundlagenforschung zuwenden. Der Versuch, die im Institut gewonnenen chemischen Erfahrungen bei der Entwicklung von Kampfstoffen für friedliche Zwecke in der Pharmakologie und der Schädlingsbekämpfung zu nutzen, mußte bald infolge von Geldmangel und Inflation abgebrochen werden. Die wirtschaftlichen Nöte des Reiches, bedingt durch die hohen Reparationsleistungen, brachten Haber 1920 auf die Idee, das vermeintlich im Meerwasser in ausreichender Konzentration gelöste Gold elektrochemisch zu gewinnen und damit die Reparationen zu bezahlen. Er gründete im Institut eine zur Geheimhaltung verpflichtete Arbeitsgruppe und entwickelte Verfahren zur Extraktion von Gold aus dem Meerwasser sowie zur Verfeinerung der Analyse. Intensive analytische Untersuchungen im Institut an Meerwasserproben aus verschiedenen Weltteilen, die in zum Teil eigens dafür unternommenen Schiffsexpeditionen gewonnen wurden, ergaben schließlich nach jahrelanger Mühe, daß die älteren und anfangs scheinbar bestätigten, sehr Erfolg versprechenden Werte (nach Berechnungen sollten 8 Milliarden Tonnen in den Weltmeeren gelöst sein) um den Faktor 1000 zu hoch waren und eine rentable Gewinnung unmöglich war.

Gleich nach dem Krieg richtete Haber im Institut neben seiner Abteilung zwei weitere ein. Herbert Freundlich, der seit 1916 im Institut tätig war und stellvertretender Direktor wurde, leitete eine Abteilung für Kolloidchemie, ein Gebiet, zu dessen Begründern er gehörte. Aus dieser Abteilung gingen grundlegende Erkenntnisse über das Verhalten von Kolloiden in Elektrolyten und über die Adsorption aus Lösungen hervor. Eine Abteilung für Atomphysik leitete James Franck, der hier seine Versuche über Stöße zwischen Atomen und Elektronen fortsetzte und für diese Arbeiten 1925 gemeinsam mit Gustav Ludwig Hertz mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde. Die Leitung dieser Abteilung übernahm nach James Francks Berufung an die Universität Göttingen (1920) im Jahre 1924 Rudolf Ladenburg. Sie wurde aufgelöst, als dieser im Jahre 1932 einem Ruf an die Universität Princeton folgte. Eine zweite Abteilung für Physikalische Chemie, aus der Pionierleistungen auf den verschiedensten Gebieten hervorgegangen sind, wurde 1923 für Michael Polanyi geschaffen. So wurde z.B. von Polanyi in gemeinsamen Arbeiten mit Eugen Wigner und Henry Eyring die atomistische Analyse von Reaktionen im Gasraum als Stoßprozess zwischen Molekülen begründet und die Theorie des Übergangszustandes für die Beschreibung des Ablaufes chemischer Reaktionen entwickelt. Auch grundlegende Ideen über die Plastizität von Festkörpern oder den Mechanismus der Polymerisation sind Polanyis Arbeiten zu verdanken.

Haber selbst hatte in diesen Jahren unter anderem wesentlichen Anteil an der Gründung der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft, aus der sich die Deutsche Forschungsgemeinschaft entwickelte. Er beschäftigte sich mit dem "Gold-Projekt" mit Leuchterscheinungen bei chemischen Reaktionen (Chemolumineszenz), der Kinetik von Gasreaktionen, der spektroskopischen Erfassung von Zwischenprodukten, die bei chemischen Reaktionen auftreten, und mit der Photochemie. Vor allem aber zog er durch seine Persönlichkeit und wissenschaftliche Vielseitigkeit junge Mitarbeiter in großer Zahl an und förderte sie durch Diskussion und kritische Anregungen. Das von ihm geleitete 14-tägige Kolloquium war ein Forum für die neuesten Entwicklungen in Physik und Chemie. Das Institut wurde zu einem Mekka der Physikalischen Chemie, und zahlreiche bedeutende Wissenschaftler begannen hier ihre wissenschaftliche Laufbahn oder verbrachten längere Zeit am Institut als Gäste. Genannt seien: Hans Beutler, Karl Friedrich Bonhoeffer, Ludwig Ebert, Henry Eyring, Ladilaus Farkas, Karl-Herrmann Geib, Paul Goldfinger, Walter Grotrian, Paul Harteck, Hartmut Kallmann, Hans Kautsky, Paul Knipping, Hans Kopfermann, Fritz London, Eugen Rabinowitch, Karl Söllner, Hertha Sponer, Eugen Wigner, Joseph Weiß, Karl Weissenberg, Setsuru Tamaru und Hans Zocher.

Wegweisende Erkenntnisse wurden im Institut gewonnen. Erwähnt seien hier die Deutung der Prädissoziationsspektren durch Bonhoeffer und Farkas (1928), der Nachweis der "negativen" Dispersion in einem Neon-Gasentladungsrohr als Zeugnis für die stimulierte Lichtemission eine Vorbedingung für die viel später entwickelte Laser-Emission durch Kopfermann und Ladenburg (1928), die Reinherstellung von Para-Wasserstoff bei tiefen Temperaturen durch Bonhoeffer und Harteck (1929), die quantenmechanische Beschreibung der Energieübertragung zwischen atomaren Systemen durch Kallmann und London (1929), die Deutung der Hyperfeinstruktur von Atomspektren durch Kopfermann (1931) und schließlich die Darstellung des Grundprinzips eines Schwerionen-Linearbeschleunigers durch Kallmann (1933). Die herausragenden Leistungen von Polanyi und seinem Arbeitskreis in der Physikalischen Chemie sowie von Freundlich und seinen Mitarbeitern in der Kolloid- und Grenzflächenchemie sind schon genannt worden. Es waren die "goldenen Jahre" des Instituts und der wissenschaftlichen Forschung in Berlin, die 1933 schlagartig zu Ende gingen.

Machtübernahme der Nationalsozialisten und Zweiter Weltkrieg

Kein anderes Institut der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft hat unter der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten so sehr gelitten wie dieses. Fritz Haber erklärte am 30. April 1933 in einem Brief an den preußischen Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung seinen Rücktritt vom Amt des Institutsdirektors und bat um Versetzung in den Ruhestand zum 1. Oktober 1933, als von ihm verlangt wurde, alle aufgrund der Rassendoktrin unerwünschten Mitarbeiter zu entlassen. Seine eigene Entlassung war zwar von den neuen Machthabern noch nicht gefordert worden, er war aber nicht bereit, sich von dieser Regierung tolerieren zu lassen. Die Abteilungsleiter Freundlich und Polanyi schlossen sich diesem Schritt an und verließen Deutschland. Dieser Abschied vom Institut traf Fritz Haber schwer. Da er seit längerer Zeit an Angina Pectoris litt, hatte er sich schon Gedanken über seine Nachfolge gemacht und dabei vor allem an James Franck gedacht. Nun sah er sein Lebenswerk zerstört, und es bleib ihm nur der Weg ins Exil. Er wanderte im Herbst 1933 nach England aus und starb am 29. Januar 1934 in Basel, knapp zwei Monate nach der Vollendung seines 65. Lebensjahres, auf dem Wege zu einem Besuch des kurz zuvor gegründeten Daniel-Sieff-Forschungsinstituts in Rehovot/Palästina, dem späteren Weizmann-Institut. 

Nach Annahme von Habers Rücktrittsgesuch im Juni führte zunächst Otto Hahn auf Wunsch von Haber und auf Veranlassung von Max Planck als Präsident der KWG die Institutsgeschäfte weiter. Aber nicht nur ohne Mitwirkung der Gesellschaft, sondern sogar gegen ihre, den zuständigen Ministerien mitgeteilten Bedenken, setzte die Preußische Regierung ab Oktober 1933 Gerhart Jander, bis dahin a.o. Professor für anorganische Chemie in Göttingen, als kommissarischen Leiter ein. Diese rechtlich kaum haltbare "Zwischenlösung" wurde von der Gesellschaft nur in der "bestimmten Erwartung" hingenommen, "daß die endgültige Wiederbesetzung der Direktorenstelle im Einvernehmen mit der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft erfolgen" werde.

Jander kündigte allen Wissenschaftlern, und die zuvor im Institut vertretenen Arbeitsrichtungen wurden abrupt aufgegeben. Während im Jahrbuch des Instituts 1933 noch 68 Arbeiten von 45 Autoren aus dem Jahre 1932 aufgeführt werden, sind es 1934 nur noch acht Arbeiten von sechs Autoren, alle zum Thema der anorganisch-chemischen Analyse. Unter den Autoren findet sich kein Name mehr aus der Zeit vor 1933.

Da die Ernennung von Jander im Zusammenwirken vom preußischen Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung mit dem Reichswehrministerium nur kommissarisch erfolgt war, schlug Max Planck andere Wissenschaftler dem Ministerium für die Nachfolge Habers vor und nannte dabei Karl Friedrich Bonhoeffer, Arnold Eucken oder Max Volmer als geeignete Kandidaten, allerdings ohne Erfolg. Schließlich erschien jedoch auch dem Reichswehrministerium, das auf dieses Institut großen Einfluß nahm, Jander nicht mehr die geeignete Person für die dem Institut zugedachten Aufgaben zu sein. Man einigte sich zwischen den Ministerien auf die Ernennung von Peter Adolf Thiessen zum Direktor, den Jander bereits als Abteilungsleiter am Institut angestellt hatte und der dank seiner Parteizugehörigkeit auch bei den politischen Instanzen volles Vertrauen genoß.

Dem Senat der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft blieb keine andere Wahl, als dieser Ernennung zuzustimmen. Thiessen richtete weitere Abteilungen ein und nahm die wissenschaftliche Arbeit in einem breiten Spektrum der Chemie allmählich wieder auf. Dabei mußten zwar der Regierung genehme Aufgaben von technisch-wirtschaftlicher Bedeutung im Vordergrund stehen, er verstand es aber, auch einen erheblichen Freiraum für Grundlagenforschung offen zu halten. P.A. Thiessen selbst leitete eine Abteilung für Kolloidchemie. Eine neue Abteilung für Physikalische Chemie wurde von Ernst Jenckel aufgebaut, in der die Eigenschaften von Gläsern und Hochpolymeren erforscht wurden. Es gab weiter eine Abteilung für Anorganische Chemie unter August Winkel, eine Abteilung für Organische Chemie unter Arthur Lüttringhaus, eine Abteilung für Feinstruktur-Forschung unter Otto Kratky und später eine Arbeitsgruppe für Makromolekulare Chemie unter Kurt Ueberreiter. Bernhard Baule und Kurt Moliere wurden als mathematische bzw. theoretische Physiker im Institut tätig.

Nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wurde das Institut ein zweites Mal ganz auf kriegswichtige Aufgaben umgestellt; trotzdem konnten immer noch einige grundlegende Fragen weiterbearbeitet werden. Erwähnt seien Kurt Moliere mit theoretischen Arbeiten über Röntgenstrahlinterferenzen und Elektronenbeugung sowie Otto Kratky, der die Röntgenkleinwinkelstreuung entwickelte. Mitten im Krieg, im Jahre 1944, wurde Iwan N. Stranski, bis 1941 Professor für Physikalische Chemie in Sofia, danach an der Technischen Hochschule in Breslau tätig, zum Wissenschaftlichen Mitglied des Instituts berufen und nahm Arbeiten über Kristallwachstum und Phasenbildung auf.

Gegen Ende des Krieges wurden ein Teil der Apparaturen und Werkstattausrüstungen sowie die Bibliothek verlagert. Letztere bildete dann in Göttingen den Grundstock für die Otto-Hahn-Bibliothek, die sich jetzt im MPI für biophysikalische Chemie befindet. Die Gebäude blieben aber von Bombenschäden weitgehend verschont. Nur das markante, spitze Dach des Hauptgebäudes fiel Brandbomben zum Opfer. Nach der Besetzung Berlins durch die sowjetischen Truppen wurde jedoch die verbliebene Einrichtung des Instituts vor dem Einzug der Amerikaner in ihren Sektor Berlins, in dem das Institut lag, nach Rußland gebracht. Von den Wissenschaftlern waren nur Iwan N. Stranski, Kurt Moliere und Kurt Ueberreiter in Berlin geblieben, deren mutigem Eintreten für die Erhaltung des Instituts in dieser chaotischen Zeit viel zu verdanken ist. P.A. Thiessen ging in die Sowjetunion. (Er kehrte Mitte der 50er Jahre, mit dem Stalin-Preis ausgezeichnet, in die DDR zurück und wurde dort als Akademiemitglied Vorsitzender des Forschungsrates.)

Erste Nachkriegsjahre

Finanziell wurde das Institut in den ersten Nachkriegsjahren vom Magistrat der Stadt Berlin unterhalten. Wissenschaftliches Arbeiten war nur sehr begrenzt möglich. Robert Havemann, der von den sowjetischen Truppen aus dem Zuchthaus befreit worden war und 1932 bis 1933 als Stipendiat am Institut gearbeitet hatte, wurde vom Magistrat als Institutsleiter eingesetzt. I.N. Stanski, K. Moliere und K. Ueberreiter nahmen ihre Arbeit am Institut wieder auf, soweit es die äußeren Umstände erlaubten. Hartmut Kallmann, langjähriger Mitarbeiter von Haber bis 1933, kehrte für kurze Zeit aus der industriellen Auffangstellung ans Institut zurück. Er folgte aber schon 1948 einem Ruf nach New York.

Erst im Juni 1947 übernahmen die Länder der U.S. Besatzungszone die Schirmherrschaft und Finanzierung im Rahmen einer Stiftung "Deutsche Forschungshochschule Berlin-Dahlem", in der das Institut organisatorisch mit dem Institut für Zellphysiologie von Otto Warburg und den Restgruppen einiger anderer Kaiser-Wilhelm-Institute zusammengeschlossen wurde. Im Januar 1948 wurde R. Havemann auf Betreiben der amerikanischen Dienststellen als Institutsdirektor abgesetzt. Er behielt aber noch eine Abteilung im Institut, die erst Anfang 1950 geschlossen wurde, als er wegen kommunistischer Propaganda Hausverbot erhielt und nach Ostberlin übersiedelte.

Im Frühjahr 1948 wurde für Karl Friedrich Bonhoeffer eine Abteilung am Institut eingerichtet, während dieser gleichzeitig noch Direktor des Instituts für Physikalische Chemie an der Humboldt-Universität Berlin war. Er wurde im Dezember 1948 zum Direktor des Instituts bestellt, folgte allerdings schon 1949 einem Ruf der inzwischen neu gegründeten Max-Planck-Gesellschaft als Direktor an das neue Max-Planck-Institut für physikalische Chemie in Göttingen. Trotzdem leitete er das Institut noch gleichzeitig weiter bis zum 31. März 1951. Er holte Ernst Ruska, den Erfinder des Elektronenmikroskops, an das Institut als Leiter einer Abteilung für Elektronenmikroskopie, die dieser neben seiner Tätigkeit bei der Firma Siemens aufbauen sollte, um Grundlagenforschung für die Weiterentwicklung von Elektronenmikroskopen zu betreiben.

In seiner Abteilung für Physikalische Chemie und Elektrochemie stellte er junge Wissenschaftler ein, die neue aktuelle Probleme in Angriff nehmen konnten. Georg Manecke entwickelte neue Hochpolymere mit Ionenaustausch- und Elektronenaustauch-Charakter und stellte hier die ersten immobilisierten, d.h. an hochpolymere Matrizen angekoppelten Enzyme her, die heute in der Biotechnologie so große Bedeutung haben. Klaus J. Vetter baute eine erfolgreiche Arbeitsgruppe für Elektrochemie auf. Er entwickelte neue Methoden zur Analyse der Kinetik elektrochemischer Reaktionen und trug Wesentliches zum Verständnis der Passivität von Metallen gegen Korrosion bei. Beide wurden 1961 als Professoren für Organische Chemie bzw. Physikalische Chemie an die Freie Universität berufen, behielten aber danach als Auswärtige Wissenschaftliche Mitglieder des Instituts Arbeitsgruppen in diesem.

Neben der Abteilung des Institutsdirektors gab es die große Abteilung von Iwan N. Stranski, der gleichzeitig Ordinarius für Physikalische Chemie an der Technischen Universität Berlin war. In dieser ab 1954 "selbstständigen" Abteilung wurden Kristallstrukturen, Keimbildungs- und Kristallwachstumsprozesse untersucht. Später wurde als neues Arbeitsgebiet das Studium der Eigenschaften der Zeolithe und von katalytischen Prozessen in solchen mikroporösen Festkörpern aufgenommen. Ab 1954 war I.N. Stanski zugleich stellvertretender Institutsdirektor.

Erwin W. Müller, der Erfinder des Feldelektronenmikroskops, war seit 1947 in der Abteilung Stranski als Assistent tätig und entwickelte in dieser Zeit das Feldionenmikroskop mit einer wesentlich höheren Auflösung von atomaren Strukturen. E.W. Müller erhielt 1950 eine eigene Abteilung am Institut, folgte jedoch schon 1952 einem Ruf in die USA. Er blieb dem Institut bis zu seinem Tode (1977) als Auswärtiges Wissenschaftliches Mitglied verbunden.

Eingliederung in die Max-Planck-Gesellschaft

1951 übernahm im Alter von 71 Jahren Max von Laue die Verantwortung als Direktor des Instituts. Damit begann eine neue Phase der Konsolidierung, da Max von Laue seine ganze Kraft und sein großes wissenschaftliches Ansehen für den Wiederaufbau des Instituts einsetzte, was allen Bereichen sehr zugute kam. Die offizielle Eingliederung in die Max-Planck-Gesellschaft erfolge erst 1953, zugleich mit der Umbenennung in "Fritz-Haber-Institut". Zu diesem Zeitpunkt wurde die Arbeitsgruppe Moliere zu einer Abteilung erweitert, in der Elektronenbeugungsphänomene für die Strukturaufklärung von Oberflächen benutzt und theoretisch analysiert wurden. Kurt Moliere wurde 1960 zum Wissenschaftlichen Mitglied berufen. Kurt Ueberreiter, schon seit 1943 Leiter einer Abteilung am Institut, in der vor allem die physikalisch-chemischen Eigenschaften von Polymeren untersucht wurden, wurde 1954 Wissenschaftliches Mitglied des Instituts.

Max von Laue berief 1953 Gerhard Borrmann als Abteilungsleiter an das Institut, der hier seine Studien über Röntgenlichtabsorption in perfekten Kristallen fortsetzte. G. Borrmann wurde 1956 Wissenschaftliches Mitglied und leitete seine Abteilung bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1970. Rolf Hosemann, seit 1951 als Assistent bei Max von Laue tätig, bearbeitete Röntgenbeugungsphänomene an Festkörpern mit statistisch gestörter Ordnung und entwickelte seine Vorstellungen über die sogenannten "Parakristalle". Er wurde 1960 Abteilungsleiter und 1966 zum Wissenschaftlichen Mitglied des Instituts berufen.

1953 begann Max von Laue mit der Planung einer größeren Erweiterung des Instituts. In der Folge gab Ernst Ruska 1955 seine Tätigkeit in einem Industrieunternehmen auf und wurde wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts. Er leitete eine eigenständige Abteilung, welche 1957 zum "Institut für Elektronenmikroskopie des Fritz-Haber-Instituts" wurde. Ein neues Gebäude für die Elektronenmikroskopie mit einem Verwaltungs- und Bibliotheksanbau wurde 1959 fertiggestellt. Der angrenzende neue Hörsaal wurde erst 1963 fertiggestellt.

Entwicklung zu einem Zentrum der Grenzflächenforschung

Im Oktober 1958 wurde Rudolf Brill zum Direktor des Instituts ernannt und übernahm im März 1959 die Geschäftsführung von Max von Laue. Brill leitete das Institut bis zum Frühjahr 1969. Sein wissenschaftliches Interesse galt den Eigenschaften von Katalysatoren für heterogene Reaktionen, die er mit Hilfe von Röntgenbeugungsverfahren und kinetischen Meßungen untersuchte. Er befasste sich insbesondere mit den Katalysatoren der Ammoniak-Synthese sowie mit Hydrierungs- und Oxidationskatalysatoren. In den Jahren 1955 bis 1964 wurden schrittweise drei Gebäude auf dem Gelände Faradayweg 16 in das Institut eingegliedert, die bis dahin von einer Arbeitsgruppe für Mikromorphologie bzw. einer Außenstelle des Max-Planck-Instituts für Silikatforschung belegt waren. In eines dieser Gebäude zog die Abteilung Ueberreiter ein, die beiden anderen wurden später von den Abteilungen Block und Hosemann übernommen.

Als Nachfolger von Rudolf Brill wurde im November 1969 Heinz Gerischer zum Direktor des Instituts ernannt. Er übernahm die Abteilung Physikalische Chemie und entwickelte einen neuen Forschungsschwerpunkt auf dem Gebiet der Elektrochemie der Metalle und Halbleiter unter Einbeziehung photochemischer Effekte. Parallel dazu wurde in einer Abteilung die Forschung an Festkörperoberflächen im Ultrahochvakuum und im Kontakt mit Gasen verstärkt.

Aufbauend auf der schon von Max von Laue im Institut eingeführten Tieftemperatur-Technik wurde die Matrixisolationsspektroskopie als Forschungsgebiet aufgenommen, um an Atom-Clustern den Übergang zwischen Atom- und Festkörpereigenschaften zu studieren. Gleichzeitig mit der Berufung von Heinz Gerischer wurde Jochen H. Block zum Wissenschaftlichen Mitglied berufen, der bereits 1966 von R. Brill an das Institut gezogen worden war und eine eigene Abteilung aufgebaut hatte, in der mit den Methoden der Feldelektronen- und Feldionenmikroskopie kinetische Prozesse auf Metalloberflächen studiert wurden. Zur Förderung der Elektronenmikroskopie, motiviert insbesondere durch das Bestreben, Mikroskope mit höchster Auflösung gegen äußere Störungen abzuschirmen, wurde 1972 ein Neubau begonnen, der 1974 von den Elektronenmikroskopikern bezogen werden konnte.

In dieser Periode wurden zwei Strukturreformen durchgeführt (1974 und 1980) und damit Schritte eingeleitet, welche die Thematik der Institutsarbeit stärker auf zusammenhängende Fragestellungen konzentrieren sollten. Als Schwerpunkt bot sich an aufgrund der vorhandenen technischen Möglichkeiten und sachlichen Kompetenz eine Konzentration auf das Studium von Grenzflächeneigenschaften und -Prozessen, ein Gebiet, das durch die Entwicklung neuer Untersuchungsmethoden wieder besonders aktuell zu werden versprach.

Im Rahmen dieser Entwicklung wurde das Institut 1974 in drei Teilinstitute gegliedert, welche die verwandten Aktivitäten zusammenfassten. Als Nachfolger von Ernst Ruska wurde 1977 Elmar Zeitler zum Direktor am Institut und Leiter des Instituts für Elektronenmikroskopie berufen. Die neue Gliederung bestand in Teilinstitut für Physikalische Chemie (J.H. Block, H. Gerischer, K. Moliere); Teilinstitut für Strukturforschung (R. Hosemann, K. Ueberreiter); Teilinstitut für Elektronenmikroskopie (E. Ruska bis 1974, E. Zeitler ab 1977). Die Geschäftsführung blieb bei H. Gerischer.

Nach der Emeritierung von R. Hosemann, K. Moliere und K. Ueberreiter im Jahre 1980 wurde eine zweite Umstrukturierung vorgenommen und eine kollegiale Leitung für das Gesamt-Institut eingeführt. In diesem Zusammenhang wurde Ende 1980 Alexander M. Bradshaw zum Wissenschaftlichen Mitglied und Direktor am Institut berufen, der bereits seit 1976 eine eigene Arbeitsgruppe im Bereich Physikalische Chemie aufgebaut hatte mit Schwerpunkt auf der Spektroskopie von Festkörperoberflächen und dem Studium chemisorbierter Moleküle.

Im Jahre 1979 war auf Initiative des Fritz-Haber-Instituts zusammen mit Forschergruppen der Berliner Universitäten und der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt eine Gesellschaft zum Betreiben eines Elektronenspeicherringes als Quelle von Synchrotron-Strahlung gegründet worden (BESSY). Gesellschafter waren außer der Max-Planck-Gesellschaft, dem Hahn-Meitner-Institut, der Fraunhofer-Gesellschaft und dem Deutschen Elektronensynchrotron (DESY) in Hamburg vier Industriefirmen. Das Fritz-Haber-Institut verpflichtete sich, den wissenschaftlichen Geschäftsführer zu bestellen und auch die Verwaltung in der Anfangsphase zu übernehmen. Mit der wissenschaftlichen Leitung von BESSY wurde 1981 A.M. Bradshaw betraut und dann wieder 1986 nach dem tragischen Tod seines Nachfolgers Ernst-Eckhard Koch. Seit der Aufnahme des Experimentierbetriebes bei BESSY im Jahre 1982 bzw. deren Nachfolgerin BESSY II in Berlin-Adlershof 1998 wird diese Strahlungsquelle von verschiedenen Arbeitsgruppen des Instituts intensiv genutzt, was der Grenzflächenforschung weiteren Auftrieb gegeben hat.

Im März 1987 nahm das auf dem Institutsgelände errichtete "Gemeinsame Rechenzentrum der Max-Planck-Institute in Berlin" den Betrieb auf. Im Jahre 2002 wurde es in "Gemeinsames Netzwerkzentrum" (GNZ) umbenannt.

Im April 1985 nahm Gerhard Ertl den Ruf an, die Abteilung Physikalische Chemie als Nachfolger von H. Gerischer nach dessen Emeritierung (31.März 1987) zu übernehmen. Er ist seitdem Wissenschaftliches Mitglied und Direktor am Institut und hat seine Forschungsarbeit im Institut bereits im April 1986 aufgenommen. Der Schwerpunkt der wissenschaftlichen Tätigkeit verschob sich von der Elektrochemie, die allerdings ebenfalls weiter bearbeitet wird, zur allgemeinen Untersuchung der Dynamik chemischer Reaktionen an festen Oberflächen. Ein wichtiges Arbeitsgebiet wurde die nichtlineare chemische Dynamik, mit chemischen und elektrochemischen Oszillationen und Strukturbildungsphänomenen.

Im Juli 1988 wurde die neue Abteilung Theorie unter der Leitung von Matthias Scheffler gegründet. Diese Abteilung spezialisiert sich auf Anwendungen der Theorie in der Oberflächenforschung, Festkörperphysik, Quantenchemie und Computational Physics.

Mit der Emeritierung von E. Zeitler am 31. Januar 1995 und der Berufung von Robert Schlögl zum Direktor ans Institut zum 1. Februar 1995 ändert sich die Zielrichtung der Abteilung Elektronenmikroskopie. Unter R. Schlögls Leitung wird die in der Abteilung vorhandene Erfahrung für Oberflächenuntersuchungen eingesetzt. Damit wurde erreicht, dass auch in diesem, nun in Abteilung für Anorganische Chemie umbenannten Bereich, das Thema Katalyse in den Vordergrund trat. Dies war ein wichtiger Schritt in Richtung auf eine Vereinheitlichung des Instituts-Forschungsziels, aus der sich Synergieeffekte ergeben. Das Ziel dieser Forschung ist die Überbrückung der Lücke zwischen Oberflächenphysik und -chemie. Zu diesem Zweck wurden in-situ-Methoden und eine Vielzahl von analytischen Verbindungen etabliert. Die Tradition der Elektronen-Mikroskopie wurde mit der Beschaffung von zwei modernen Elektronenmikroskopen fortgesetzt.

Durch den unerwarteten Tod von J. Block im Juli 1995 wurde es notwendig, für die Abteilung Grenzflächenreaktionen neue Perspektiven zu entwickeln. Mit der Berufung von Hans-Joachim Freund zum 1. April 1996 kam es zu einer Neuorientierung, die sich auch in der Umbenennung in Abteilung für Chemische Physik ausdrückte. Hier werden vielfältige Studien zur Adsorption, besonders auf Oxid-Oberflächen durchgeführt.

Im Jahre 2002 wurde Gerard Meijer zum Direktor am Institut berufen; er gründete die Abteilung Molekülphysik, in der neben Anwendungen der Molekülspektroskopie auch die Abbremsung und das Speichern von "kalten" Molekülen bearbeitet wird.

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