Josef Holzwarth, der schnellste Wissenschaftler
Während Forscher*innen am Fritz-Haber-Institut (FHI) häufig kommen und gehen, verbringen einige von ihnen ihre gesamte akademische Laufbahn am Institut und verleihen ihm dadurch Kontinuität. Einer dieser Langzeit-FHI-Forscher war Josef Holzwarth, der leider am 26. Oktober 2019 im Alter von 78 Jahren verstorben ist. Josef Holzwarth, der seinen deutschen Freund*innen und Kolleg*innen als "Sepp" bekannt war, studierte Chemie an der Technischen Universität in München. Nach Abschluss seiner Promotion wechselte er mit seinem Doktorvater Prof. Heinz Gerischer an das FHI, wo er bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2005 blieb - insgesamt 35 Jahre.
"Sepp war ein hochbegabter Physikochemiker, der auf dem Gebiet der schnellen Reaktionskinetik Weltklasseforschung betrieben hat", sagt Alex Bradshaw, ein ehemaliger Direktor des FHI. Am Fritz-Haber-Institut entwickelte Holzwarth eine kinetische Technik weiter, an der er während seiner Doktorarbeit gearbeitet hatte: eine neuartige kontinuierliche Strömungsmethode, bei der schnelle Elektronentransferreaktionen in Lösung entlang der Strömungsrichtung beobachtet wurden. Diese Methode erlaubt Beobachtungen bis in den unteren Millisekundenbereich. Während seiner Forschungslaufbahn war er führend in der Entwicklung von schnellen Reaktionsmethoden. "Josef betrachtete wissenschaftliche Probleme immer aus einer kinetischen Perspektive. Um seine wissenschaftlichen Fragen zu lösen, entwickelte und implementierte er Techniken zur Messung der Kinetik, die Zeitskalen von Pikosekunden bis Sekunden umfassen", sagt Prof. Cornelia Bohne, Institut für Chemie, University of Victoria (Kanada). So entwickelte er eine neue Temperatursprungmethode mit einem Jodlaser, die ein breiteres Anwendungsspektrum als die damalige Standardtechnik bot und bis in den Sub-Nanosekundenbereich reichte.
Aber Holzwarth entwickelte diese Methode nicht nur, er baute die Apparatur auch selbst. Prof. Laurie Peter, Institut für Chemie, University of Bath (GB), ein persönlicher Freund und Kollege Holzwarths am FHI von 1970-1975, erinnert sich noch gut an diese Zeit. "Sepp war ein großer Teetrinker, und wir diskutierten oft bei einer guten Tasse Darjeeling über Wissenschaft, Politik und das Leben im Allgemeinen. Nach einer unserer Teesitzungen hatte ich das Privileg, bei der Vorführung seines neu gebauten Jodlasers dabei zu sein, eine Erfahrung, die sich als aufregender herausstellte, als wir beide erwartet hatten. Die Blitzlampen wurden durch die Entladung einer riesigen Kondensatorbank mittels eines druckluftbetriebenen Schalters gezündet. Als Sepp den Laser zündete, folgte ein ohrenbetäubender Knall, denn die Kondensatoren wurden gar nicht auf die Lampen, sondern auf den metallenen Fensterrahmen entladen! Nachdem wir diese elektrisierende Erfahrung überlebt hatten, blieben wir auch nach meiner Rückkehr nach Großbritannien in Kontakt, und er besuchte uns mehrmals in Southampton, wenn er mit Brian Robinson zusammenarbeitete.“
Brian Robinson, emeritierter Professor für Chemie an der University of East Anglia (UK), schätzt Holzwarths Jodlaser nach wie vor sehr. "Er war ein einzigartiges Instrument", sagt er. "Ohne seine Komplexität und Kosten wäre er zweifellos viel und oft kopiert worden. Es war beeindruckend - um das elektrische Rauschen zu minimieren, wurde der optische Wärmestoß des Lasers in einem raumgroßen Faradayschen Käfig erzeugt, der mit Technik vollgestopft war und durch ein Loch auf die Probe geschossen wurde. Trotz der Komplexität seines Innenlebens wurde er so konstruiert und auf dem Stand der Technik gehalten, dass er bemerkenswert einfach zu bedienen war. So entwickelte er sich rasch zu einer einzigartigen Einrichtung, die interdisziplinäre wissenschaftliche Mitarbeiter aus der ganzen Welt nach Berlin in Josefs Labor zog".
Josef Holzwarths frühe Arbeiten beschäftigten sich mit der Kinetik und dem Mechanismus der Rekombination der untersuchten Wasserionen mit Hilfe von Leitfähigkeitsdetektion und der Assoziation von Acridinfarbstoffen in Wasser mittels spektrophotometrischer und fluorometrischer Detektion. Im Laufe der Jahre erweiterte er seine Arbeit auf Elektronentransferreaktionen und Metall-Liganden-Substitutionsreaktionen in mizellaren Lösungen, die Farbstoffbindung an DNA und die Dynamik von Tensidaggregaten und Block-Copolymeren. "Eine besonders beeindruckende Studie war die Kinetik der Wechselwirkung zwischen Gramicidin-A und Doppelschichten von DPPC", sagt Paul Fletcher, emeritierter Professor für Physikalische Chemie an der Universität Hull (GB). Für diese Studie wurde zur Interpretation der Daten eine Kombination aus Absorptions-, Fluoreszenz- und Trübungsdetektion verwendet.
Später fokussierte Holzwarth seine Forschung auf das Studium der supramolekularen Dynamik, indem er Ereignisse in Echtzeit verfolgte, wobei er die erwähnte Lasertemperatursprung-Methode zusammen mit anderen kinetischen Techniken wie Laserblitzphotolyse, Stopped-Flow- und Continuous-Flow-Methoden anwendete. Arturo López-Quintela, Professor für Physikalische Chemie an der Universität von Santiago de Compostela (Spanien), erinnert sich an Holzwarth als sehr engagierten Menschen, der immer bestrebt war, neue Erkenntnisse direkt in seine aktuelle Forschung einfließen zu lassen. "Für jedes supramolekulare System entwickelte er die erforderliche Methodik, um die Dynamik in Echtzeit zu messen, die Beziehung zwischen Dynamik und Struktur der supramolekularen Bausteine herzustellen und dieses Wissen bei der Entwicklung neuer supramolekularer Funktionen anzuwenden", sagt López-Quintela, der Josef Holzwarth auch für seine Freundlichkeit und seine Freude immer in Erinnerung behalten wird.
Holzwarth lieferte relevante Beiträge auf vielen Gebieten. Unter anderem: diffusionskontrollierte Reaktionen; Dynamik von Micellen und Mikroemulsionen; Dynamik und Phasenübergänge in Vesikeln und Doppelschichten; Dynamik von Block-Copolymer-Selbstaggregationen; dynamische Prozesse in Membransystemen und Proteinstrukturen; Dynamik in Gelen; Wechselwirkung von Tensiden, Farbstoffen, Ionen und Molekülen mit Polymeren, Biopolymeren (einschließlich DNA) und Makromolekülen sowie reversible und irreversible Enzymreaktionen.
Edward M. Eyring, emeritierter Professor für Physikalische und Analytische Chemie an der University of Utah (USA), meint, dass "Josef Holzwarth sicherlich einer der Mitwirkenden auf dem Gebiet der chemischen Reaktionen im Subnanosekundenbereich war, der von mir und meinem verstorbenen Vater, Henry Eyring, in den 1970er und 1980er Jahren am meisten bewundert wurde. Josefs ansteckende gute Laune und seine kreativen wissenschaftlichen Ideen machten ihn zu einem beliebten Redner auf den wissenschaftlichen Tagungen, an denen wir damals teilnahmen.“
Ein Großteil der wissenschaftlichen Kollaborationen Holzwarths konzentrierten sich auf die Dynamik kolloidaler Systeme, insbesondere Mizellen, Mikroemulsionen und Block-Copolymere. Sein guter Ruf auf diesem Gebiet führte zu seiner Ernennung zum europäischen Herausgeber der ACS-Zeitschrift Langmuir. Auch nach seinem Ausscheiden aus dem Fritz-Haber-Institut im Jahr 2005 dauerte diese Tätigkeit bis 2008 an. Cornelia Bohne erinnert sich, wie ernst Josef Holzwarth seine redaktionelle Arbeit bei Langmuir nahm. "Für meinen ersten Forschungsurlaub 1998/99 verbrachte ich 9 Monate in Josefs Labor am FHI", sagt sie. "Abgesehen davon, dass ich viel über Selbstaggregation von Block-Copolymeren gelernt habe, hatte ich mit Josef viele Gespräche über den Redaktionsprozess. Diese waren ausschlaggebend für meine Entwicklung als Wissenschaftlerin. Heute, in meiner eigenen Rolle als Redakteurin, erinnere ich mich oft an seine Anekdoten darüber, was effektive und gute Autorschaft oder Rezensionstätigkeit ausmacht". Alan Hatton, Professor für Chemieingenieurwesen am MIT (USA), hat ähnlich gute Erinnerungen an seinen kurzen Semesteraufenthalt bei Josef im Sommer '89, der zu einer produktiven Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Dynamik von reversen mizellaren Systemen und Block-Copolymeraggregaten in Lösung führte. "Josef war eine Inspiration in Bezug auf seine starken wissenschaftlichen Ideale und die Freude, die er bei der Erforschung neuer dynamischer Phänomene in Zeitskalen gewann, die für Forscher zuvor unzugänglich gewesen waren. Er ging großzügig mit seiner Zeit um und teilte nicht nur seine Weisheit, sondern auch den Tee aus seiner ständig wieder aufgefüllten und von Innen vollkommen mit Tannin verkleideten Thermoskanne. Josef war ein wunderbar freundlicher Kollege und Freund".
Josef Holzwarth war immer in der wissenschaftlichen Gemeinschaft aktiv. Neben seiner redaktionellen Arbeit war er ein talentierter Wissenschaftsmanager, der am FHI stets gefragt war. Er war über 25 Jahre lang Vorsitzender des dortigen Bibliotheksausschusses und organisierte die Renovierung des Hauptgebäudes vor der Ankunft von Prof. Gerischer in Berlin. Er ist auch als energisches Mitglied der Diskussionsgruppe "Fast Reactions in Solution" der Royal Society of Chemistry in Erinnerung geblieben. "Er hat in mehr als 30 Jahren an jedem Treffen der Gruppe teilgenommen, das ist ein Rekord", sagt Brian Robinson. "Früher fuhr er durch ganz Europa, um an den Treffen teilzunehmen", fügt Robinson hinzu, "und die meisten Leute, die ihn kannten, würden ihn sowohl als begeisterten Fahrer als auch als engagierten Wissenschaftler beschreiben. Tatsächlich hat er in seiner Studienzeit in München eine Ausbildung zum Taxifahrer absolviert, ein Beruf, bei dem man den Kunden an das richtige Ziel brachte, und zwar so schnell wie möglich. Ich erlebte dies am eigenen Leib auf einer langen Fahrt, die ich mit ihm und meiner Mutter in Josefs Volvo-Kombiwagen unternahm. Meine Mutter schien zu schlafen, als wir mit einer Geschwindigkeit von über 160 km/h die Straße entlang rasten, gab aber später zu, dass sie aus purer Angst die ganze Zeit die Augen geschlossen gehalten hatte", erzählt Robinson lachend. "Josef war in vielerlei Hinsicht kinetisch schnell."
Seine Geschwindigkeit und Energie sind allen, die ihn kannten, gut in Erinnerung geblieben. Er führte alle wissenschaftlichen und nichtwissenschaftlichen Aktivitäten effizient und schnell aus. "Wie beim Autofahren war er für gewöhnlich in Eile. Vor allem konnte Sepp nie widerstehen, drei Stufen auf einmal zu nehmen, wenn er die Treppe hochging", sagt Alex Bradshaw. Solange er lebte, blieb er so, erinnert sich Laurie Peter. "Das letzte Mal sah ich Sepp bei ihm zu Hause in Oberammergau, als wir zusammen in den Bergen waren. Er war voller Energie, wie eh und je."
Dieser Nachruf war eine Gemeinschaftsarbeit all derjenigen, die zitiert wurden, und darüber hinaus von all jenen informiert, die Josef Holzwarth am FHI getroffen und mit ihm gearbeitet haben. Sie sprechen Josef Holzwarths Frau Ani und der ganzen Familie ihr tiefes Mitgefühl aus. Vor allem diejenigen, die mit ihm im Ausland zusammengearbeitet und ihn in Deutschland besucht haben, möchten der Familie für ihre Gastfreundschaft in all den Jahren danken, für die unvergesslichen Reisen zu Konferenzen und für Anis Pizza – die beste in ganz Europa. Josef Holzwarth war ein herausragender und origineller Wissenschaftler, den alle seine Freunde in der Gemeinschaft der "schnellen Reaktionen" sehr vermissen werden. "Das FHI kann stolz auf seine Leistungen sein", sagt Prof. Gerard Meijer, Geschäftsführender Direktor des Fritz-Haber-Instituts, abschließend.
Übersetzung aus dem Englischen: Agatha Frischmuth