Kohärente Gitterschwingungen auf der Nanoskala abbilden

26. Oktober 2022

Kohärente Phononen – kollektive Schwingungsanregungen konstanter Phase in einem Kristallgitter - können detaillierte Einblicke in mikroskopische Wechselwirkungen in Festkörpern unter Nichtgleichgewichtsbedingungen geben, z.B. nach ultraschneller Anregung durch Licht. Mittels Femtosekunden-Laser-getriebener Rastertunnelmikroskopie können kohärente Phononen nun mit einer bisher unerreichten räumlichen Auflösung von wenigen Nanometern spektroskopisch untersucht werden. Dies ermöglicht es, den Einfluss von Einzeldefekten und lokalen Gitterverzerrungen auf mikroskopische Prozesse z.B. in niedrigdimensionalen Quantenmaterialien und Nanostrukturen besser zu verstehen.

Ein wichtiges Ziel der modernen Festkörperforschung ist es zu verstehen, wie die makroskopischen Eigenschaften, Phasen und Funktionsweisen eines Materials von den grundlegenden Wechselwirkungen zwischen dessen mikroskopischen Freiheitsgraden - Elektronen, Gitter und Spin - abhängen. Durch die Untersuchung der ultraschnellen Dynamik des Festkörpers unter Nichtgleichgewichtsbedingungen können Einblicke in solche mikroskopischen Kopplungen gewonnen werden. Mittels sogenannter ‚Anrege-Abfrage‘ (‚pump-probe‘) Spektroskopie kann die erforderliche Zeitauflösung von Femtosekunden erreicht werden – weniger als eine Billionstel Sekunde und die Zeitskala, auf der sich Atome bewegen.

In kristallinen Festkörpern mit räumlicher Inhomogenität, z.B. aufgrund von lokalen Defekten oder durch das gezielte Wachstum von nanoskaligen Heterostrukturen, variiert dessen Gitter- und/oder elektronische Struktur auf der Nanoskala, und somit auch die mikroskopischen Wechselwirkungen im Kristall. Bisher gibt es allerdings nur sehr begrenzte Methoden und experimentelle Ansätze, welche die Untersuchung ultraschneller Dynamik in Festkörpern auf den entsprechenden atomaren Längenskalen ermöglichen könnten.

Die kohärente Phononenspektroskopie ist eine nützliche und verbreitete Methode in der ultraschnellen Festkörperphysik, um die Reaktion des Kristallgitters und seine Kopplung an die Elektronen nach ultraschneller Photoanregung zu untersuchen. Kohärente Phononen können z.B. auch dazu genutzt werden, einen Licht-induzierten Phasenübergang in stark korrelierten Materialien in Echtzeit zu verfolgen und sogar dessen Ergebnis zu kontrollieren. Trotz der wichtigen Rolle der lokalen Gitterstruktur für eine solche Dynamik war es bisher nicht möglich, kohärente Gitterschwingungen mit hoher räumlicher Auflösung im Bereich weniger Nanometer zu messen. 

Ein internationales Team von Forschern des Fritz-Haber-Instituts der Max-Planck-Gesellschaft, des Institute for Molecular Science in Okazaki und der Osaka University ist es nun gelungen, kohärente Phononen mittels eines Rastertunnelmikroskops (STM), dessen Tunnelstrom durch ultraschnelle Laseranregung erzeugt wird, lokal zu erzeugen und zu messen. Aufgrund von störenden Heizeffekten besteht die große Schwierigkeit solcher Experimente darin, einen stabilen STM-Betrieb mit gepulster Laseranregung zu realisieren. „Damit uns das gelingt verwenden wir plasmonische STM Spitzen aus Silber, wodurch wir nur sehr geringe Laserleistungen benötigen“, erklärt Takashi Kumagai, der zusammen mit Melanie Müller das Projekt leitet. Zudem wird der Spitzen-Probe Abstand um wenige Ångstrom im Vergleich zu konventionellem STM vergrößert, wodurch ein stabiler licht-getriebener Tunnelbetrieb möglich ist. In diesem Modus konnten die Forscher Schwebungsmuster von kohärenten Phononenmoden in ultradünnen ZnO-Filmen auf Ag(111) lokal abbilden. Die phasenstabilen Gitteroszillationen wurden mittels eines ersten Laserpulses (‚pump‘) angeregt, und modulieren daraufhin periodisch den photoinduzierten Tunnelstrom, welcher durch einen zweiten Laserpuls (‚probe‘) erzeugt wird. Entscheidend ist dabei, dass die Laseranregung resonant mit einem optischen Übergang in der elektronischen Struktur des hybridisierten ZnO/Ag(111)-Systems ist. „Interessant und spannend an diesen Messungen ist auch, dass der photoinduzierte Tunnelstrom nicht durch eine periodische Änderung des Spitzen-Probe Abstands moduliert wird, wie man das zunächst naiv von einer Bewegung der Gitteratome im STM erwarten könnte, sondern wahrscheinlich durch eine Kopplung der Phononen an die lokale elektronische Struktur, was dann wiederum zu einer Modulation des resonant angeregten Photostroms führt“, betont Melanie Müller. Dies ist ein neuer und bisher unerforschter Mechanismus im STM, welcher neue Möglichkeiten für die Untersuchung und Kontrolle ultraschneller Dynamik an Festkörperoberflächen und in niedrigdimensionalen Quantenmaterialien eröffnet – etwa wie ein licht-induzierter Phasenübergang von einem Defekt lokal gestört, verhindert oder begünstigt wird. 

Originalpublikation:
S. Liu, A. Hammud, I. Hamada, M. Wolf, M. Müller, T. Kumagai, Nanoscale coherent phonon spectroscopy, Science Advances.

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