Metallisches Ammoniak? - Experiment zeigt erstmals wie Elektrolyte metallisch werden

8. Juni 2020
Ein internationales Team beobachtete erstmalig die Bildung eines metallischen Leitungsbandes in Elektrolyten mit Hilfe der Photoelektronen-Spektroskopie. Dies erlaubte einen tieferen Einblick in das Verhalten von Elektrolyten an sich und in sogenannte gelöste oder solvatisierte Elektronen, die in vielen großindustriellen chemischen Prozessen eine wichtige Rolle spielen. Die Arbeit ist in Science publiziert.

Metalle leiten elektrischen Strom, das ist allgemein bekannt. Das liegt daran, dass sich ein Teil der Elektronen in einem so genannten Leitungsband ungehindert durch das kristalline Gitter bewegt. Diese Art der elektrischen Leitfähigkeit gibt es für gewöhnlich nur bei metallischen Festkörpern, während Flüssigkeiten, genauer gesagt Elektrolyte, oft eine geringere Leitfähigkeit aufweisen, weil dort positive und negative Ionen die elektrischen Ladungen transportieren. Im Gegensatz zur Bewegung der freien Elektronen im metallischen Leitungsband bewegen sich die Ionen allerdings ungeordnet und ‘schwerfällig‘ durch die Flüssigkeit. Forscher des Fritz-Haber-Instituts der Max-Planck-Gesellschaft haben jetzt untersucht, welcher Mechanismus dahintersteckt, wenn eine elektrolytische Flüssigkeit quasi zu einem metallischen Elektrolyten übergeht und dabei die elektrische Leitfähigkeit um Größenordnungen steigt. Wie dieser Übergang abläuft, war seit mehr als 200 Jahren eine weitgehend ungeklärte Frage in der Grundlagenforschung. Auch für die ‘großindustrielle‘ Batterie- und Akku-Entwicklung oder die Elektrotechnik allgemein ist das eine hochrelevante Frage, da dort immer nach Materialien mit unterschiedlichen Leitfähigkeiten gesucht wird.

In Kooperation mit 15 Forschern renommierter internationaler Institute haben sich die Physiker Dr. Bernd Winter und Dr. Christian Schewe zusammen mit der Doktorandin Hebatallah Ali, die alle in der Abteilung Molekulare Physik forschen, dieser Frage gewidmet. Um ihr auf den Grund zu gehen, beschäftigten sie sich mit Elektrolyten, chemischen Verbindungen also, die zwar Strom leiten können, nicht aber so gut wie es bei Metallen der Fall ist. „Uns interessiert, wie viele ‚freie‘ Elektronen im Elektrolyten deponiert werden müssen, bis ein metallisches Verhalten entsteht,“ erklärt Dr. Winter. „Wie sehr müssen wir die Elektrolyte verändern, bis sich ein Leitungsband ausbildet?“

Um diese Frage beantworten zu können, stellten sie zusammen mit Forschern aus Prag und Los Angeles zunächst einmal Elektrolyten aus Ammoniak her. Reines, flüssiges Ammoniak ist (wie reines Wasser auch) ein Isolator und leitet an sich keinen Strom. Erst durch die Zugabe von Alkali-Metallen wie Lithium, Natrium oder Kalium kann man das ändern. Effektiv führt man dabei einer isolierenden Flüssigkeit bewegliche geladene Teilchen zu, die dort dann bei genügend hoher Konzentration die Ausbildung eines Leitungsbands ermöglichen. „Dass gerade Ammoniak der Grundstoff für den neuen Elektrolyten bildet, ist übrigens ein schöner historischer Zufall,“ erzählt Dr. Winter mit sichtlicher Freunde. „Unsere Arbeiten finden ihren Ursprung genau an jenem Ort, an dem Fritz Haber in den Jahren 1905-1913 das industrielle Verfahren zur Ammoniaksynthese entwickelt hat.“

Die Herstellung dieser Ammoniak-Elektrolyte war allerdings mit einigem technischen Aufwand und nur unter größeren Sicherheitsvorkehrungen möglich. Das größte Problem ist, dass reine Alkali-Metalle an der Luft sofort mit Sauerstoff und Wasser reagieren, was im besten Fall wenn auch nicht zu einer Explosion, so doch immerhin zu einem Metallbrand führt, der mehrere tausend Grad heiß sein kann. „Die Krux bei dem ganzen Experiment lag darin, einen Behälter wasser- und sauerstofffrei zu bekommen und dann bei Temperaturen zwischen -40 °C und -75 Grad Celsius zu stabilisieren, erst dann kondensiert Ammoniak. Nur so können die Alkalimetalle kontrolliert über einen evakuierten Zugang zugegeben und aufgelöst werden,“ erzählt Schewe. Das tiefgekühlte Ammoniak wurde dann samt Kühlgerät (ein sogenanntes Kryostat) in einer Vakuummessapparatur an der Berliner Synchrotron-Strahlungsquelle BESSY II installiert. Darin wurde an Mikrojets (einem sehr feinen flüssigen Strahl der kalten Ammoniak-Lösungen mit unterschiedlichen Konzentrationen von Alkali-Metall) im Hochvakuum das Verhalten von Elektronen in den verschiedenen Elektrolyten mittels Photoelektronen-Spektroskopie gemessen. „Wir konnten zum ersten Mal das Photoelektronensignal von ‚freien‘, überschüssigen Elektronen in flüssigem Ammoniak einfangen“, erklären die Forscher.

Weil die Lösungen Licht im roten Spektralbereich absorbieren, sind sie bei niedrigen Konzentrationen (= nur einzelne gelöste Elektronen) schwach blau, bei steigender Konzentration (gebundene Zweierpaare, sogenannte solvatisierte Elektronen bilden sich) intensiviert sich die blaue Farbe.  Erhöht man die Alkali-Metall-Konzentration weiter, so geht die blaue Farbe über einen matten bronzenen zu einem goldenen Farbton über. Dieser beeindruckende Farbwechsel hängt mit dem Übergang vom Elektrolyten zu einer flüssigen, metallischen Lösung zusammen. In den Photoelektronen-Spektren konnte dann beobachtet werden, wie bei stufenweiser Erhöhung der Alkali-Metall-Konzentration graduell solvatisierte Elektronen verschwinden und dafür ‚freie‘ Elektronen auftauchen die schließlich ein metallisches Leitungsband ausbilden. Dieser graduelle Übergang von einem Elektrolyten zu einem Metall in diesen flüssigen Alkali-Metall-Ammoniak Systemen ist insofern außergewöhnlich, wenn man ihn mit dem analogen Übergang von Halbleitern zu metallischen Leitern in der Festkörperphysik vergleicht, wo der Übergang in der Regel schlagartig passiert.

Die Arbeit leistet einen wichtigen Beitrag zum grundlegenden Verständnis des Übergangs von einer elektrisch nicht-leitenden Flüssigkeit, dem reinen Ammoniak, über zu einem Elektrolyten, der aufgrund der solvatisierten Elektronen eine gewisse elektrische Leitfähigkeit zeigt, bis hin zu einem metallischen Elektrolyten, das eine sehr hohe Leitfähigkeit besitzt.  

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