Hydrierte Elektronen an der elektrochemischen Grenzfläche

19. November 2020
Ein Forschungsteam der Abteilung Physikalische Chemie konnte mit Hilfe eines neu entwickelten opto-elektronischen Messaufbaus erstmals die ultraschnelle Hydratationsdynamik von Elektronen unter realen elektrochemischen Bedingungen beobachten. Die aus ihrer Studie gewonnenen Informationen sind wesentlich für das Verständnis des Ladungstransfers an Metall/Lösungs-Grenzflächen, die den wesentlichen Schritt der meisten elektrochemischen Reaktionen darstellt.

Auch wenn es vielen nicht bewusst ist, sind elektrochemische Reaktionen im Alltag der meisten Menschen allgegenwärtig – zum Beispiel beim Aufladen elektronischer Geräte wie Mobiltelefone. Dabei werden Elektronen an die Festkörper/Elektrolyt-Grenzfläche einer Elektrode geschickt, um dort chemische Energie zu speichern, die später bei der Verwendung des Geräts genutzt werden kann. Um solche elektrochemischen Bauelemente verbessern zu können, muss man die grundlegenden Prozesse, die an solchen Grenzflächen ablaufen, verstehen. Die zentrale Frage lautet dabei: Wie interagiert das Elektron mit Lösungsmittelmolekülen, wenn es von der festen Elektrode in die Flüssigphasenlösung übergeht? Diese Frage erweist sich als nicht trivial, obwohl Grenzflächen zwischen Metall und wässriger Lösung in vielen elektrochemischen Systemen allgegenwärtig sind.

Die Herausforderungen sind zweifacher Natur. Zum einen findet der Elektronentransfer an einer Fest/Flüssig-Grenzfläche statt, wo beide benachbarten Phasen kondensierte Materie sind, was den Einsatz vieler gut entwickelter oberflächenwissenschaftlicher Techniken verhindert (da diese oft auf dem Nachweis von Elektronen oder Ionen im Vakuum basieren).  Dies unterstreicht die Notwendigkeit einer Technik zur Untersuchung der Struktur und Dynamik des Elektrons. Zweitens wird angenommen, dass diese Prozesse extrem schnell ablaufen (in der Grössenordnung von  einigen Dutzend Femtosekunden bis Pikosekunden, eine Zeitspanne, in der man bei Lichtgeschwindigkeit nicht einmal einen Millimeter zurücklegen würde). Während herkömmliche elektrochemische Werkzeuge wie Potentiostaten (Geräte, die entwickelt wurden, um elektrochemische Reaktionen zu steuern) die Anzahl der Elektronen während einer Reaktion gut zählen können, sind sie nicht schnell genug, um einer ultraschnellen Dynamik wie der Elektronen-Solvatisierung zu folgen.

Um die ultraschnelle Dynamik der Elektronenhydratation an der Grenzfläche Metall/wässrige Lösung zu verfolgen, entwickelte eine Forschungsgruppe unter der Leitung von Dr. Yujin Tong in der Abteilung Physikalische Chemie einen neuartigen opto-elektronischen Messaufbau, bei dem ultraschnelle Laserpulse mit einem elektrochemischen Aufzeichnungssystem kombiniert wurden. Dadurch kann die ultraschnelle Elektronenhydratationsdynamik (d.h. die Wechselwirkung von Elektronen mit Wassermolekülen) in Echtzeit verfolgt werden.

Das Konzept ähnelt dem im Cover-Artikel gezeigten: Eine Kombination von zwei Femtosekunden-Laserpulsen induziert eine Photospannung, die von einem kommerziellen Potentiostaten einfach ausgelesen werden kann. Durch kontinuierliche Änderung des Zeitversatzes zwischen den beiden Pulsen kann ein "Film" über die Elektronen-Solvation aufgenommen werden.

"Die Eigenschaften des solvatisierten Elektrons an der Grenzfläche Gold/wässrige Lösung unterscheiden sich deutlich von denen im Großteil der Lösung. Die Wechselwirkung mit der Metallelektrode beeinflusst sowohl die Energie als auch die Lebensdauer der verschiedenen Übergangszustände des hydratisierten Elektrons", beschreibt Dr. François Lapointe, ehemaliger Postdoc am Fritz-Haber-Institut und jetzt ständiger Forschungsbeauftragter am National Research Council Canada. "Noch faszinierender sind die strukturellen Eigenschaften dieser verschiedenen Zustände des hydratisierten Elektrons: Die Spezies wechseln während ihres Relaxationsprozesses von vollständig isotrop (ähnlich einer idealen Kugel) zu vollständig anisotrop (wie ein Stock). Solche Informationen werden für das Verständnis der Photoelektrochemie an der Metall/Lösungs-Grenzfläche wichtig sein", fügt er hinzu.

Diese Studie deutet auch darauf hin, dass es möglich sein sollte, Elektrochemie im Femtosekundenbereich mit der gleichen Methodik auszulösen: Der ultraschnelle Ladungstransfer kann durch einen Pumppuls mit geeigneter Photonenenergie (z.B. UV) initiiert werden, und der zweite Push-Puls kann dazu verwendet werden, eine Photospannung oder einen Photostrom zu induzieren, um die Reaktion zu überwachen. Somit eröffnet das in dieser Studie entwickelte neuartige Detektionsschema einen weiten Untersuchungsspielraum (Art des Lösungsmittels und des Elektrolyten, Temperatur, lokales Potential usw.), um die Strukturänderungen auf molekularer Ebene während des Ladungstransfers zu untersuchen. Darüber hinaus wird erwartet, dass ein solches opto-elektronisches Mess-Schema bei der Untersuchung der Photokatalyse mit „heißen“ Elektronen und der plasmonengestützten Katalyse nützlich sein wird und somit zum Design besserer Solarzellen beiträgt.

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