Energieversorgung sichern

10. März 2022

Wie sich russisches Erdgas in Deutschland sowie in der gesamten Europäischen Union (EU) durch andere, insbesondere erneuerbare Energieträger ersetzt werden könnte, erörtert die heute veröffentlichte Ad-hoc-Stellungnahme der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina „Wie sich russisches Erdgas in der deutschen und europäischen Energieversorgung ersetzen lässt“. FHI-Direktor Prof. Dr. Robert Schlögl nahm als Vizepräsident der Leopoldina hierzu in Interviews Stellung.

Dies könnte unter anderem durch die Beschaffung von Flüssiggas, das Anlegen einer robusten Reserve an Energieträgern und den Ausbau der Wasserstoffinfrastruktur erreicht werden. Das Ad-hoc-Papier der Leopoldina kommt zu dem Schluss, dass auch ein kurzfristiger Lieferstopp von russischem Gas für die deutsche Volkswirtschaft handhabbar wäre. Durch die unmittelbare Umsetzung eines Maßnahmenpakets könnten Engpässe vermieden und ihre wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen abgefedert werden.

Erdgas hat in Deutschland einen Anteil am Primärenergieverbrauch von über 25 Prozent und wird überwiegend für industrielle Prozesse sowie von privaten Haushalten eingesetzt. Die Hauptnutzung von Erdgas liegt dabei in der Wärmeerzeugung, weniger im Stromsystem. Etwas mehr als die Hälfte des in Deutschland verbrauchten Erdgases wird aus Russland importiert. Der Rest wird vorwiegend aus Norwegen und den Niederlanden bezogen. Derzeit sind die Speicher für Erdgasreserven in Deutschland zu 27 Prozent gefüllt.

Um auf einen möglichen Stopp russischer Erdgaslieferungen in die EU vorbereitet zu sein, sind Sofortmaßnahmen, eine mittelfristige Diversifizierung der Energieversorgung und eine Einbettung dieser Maßnahmen in einen Transformationspfad hin zu einer nachhaltigen Energieversorgung notwendig.

Als kurzfristige Maßnahme (kommende Wochen und Monate) diskutiert die Ad-hoc-Stellungnahme zum Beispiel Flüssiggasimporte, Einsparungen beim Erdgas und das Füllen von Gasspeichern als Puffer für den Winter. Um die Erdgasnachfrage zu reduzieren, könnte zudem auf eine stärkere Kohleverstromung gesetzt werden. Dies führt kurzfristig zu höheren Kosten für die vom europäischen Emissionshandel erfassten Unternehmen. Dabei sind finanzielle Belastungen der Bürgerinnen und Bürger mit niedrigen und mittleren Einkommen sozial abzufedern und Unternehmen von Energiesteuern zu entlasten. Mittelfristig (innerhalb eines Jahres) benötigt Deutschland eine robuste Reserve an Energieträgern, einen Ausbau der Flüssiggaskapazitäten und eine Ertüchtigung des Gasnetzes. Langfristig (zwei bis zehn Jahre) wird der Ausbau der Infrastruktur für den Umschlag und Import von Wasserstoff empfohlen sowie der Ausbau der erneuerbaren Energien.

Da die Energieversorgung zur staatlichen Daseinsvorsorge zählt, reichen die Optionen für die künftige Gestaltung des Energieversorgungssystems von einer vollständig staatlichen Energieversorgung bis hin zu einer rein privatwirtschaftlichen Energieversorgung unter staatlicher Regulierung und Aufsicht. Dabei ist darauf zu achten, Mikromanagement zu vermeiden, so die Autorinnen und Autoren. Zentral ist dabei die Übertragungsinfrastruktur, die aus Energiehäfen, Großspeichern und den Übertragungsnetzen („Energieautobahnen“) besteht. Sie könnte wie bisher privat bewirtschaftet werden, sollte dann aber in Struktur und Nutzung staatlicher Regulierung unterliegen. Auch die Bereitstellung, Wandlung, Verteilung und Nutzung der Energie könnten weiterhin privatwirtschaftlich innerhalb eines klaren und stabilen staatlichen Rahmens organsiert sein.

Wichtig ist den Autorinnen und Autoren, den geplanten Kohleausstieg 2030 nicht in Frage zu stellen. Er hilft dabei, von russischen Kohleimporten, die 50 Prozent der Kohleeinfuhr nach Deutschland ausmachen, unabhängig zu werden. Bestehende wirksame Mechanismen zur Reduktion der Treibhausgasemissionen, allen voran der Emissionshandel und seine Weiterentwicklung im Rahmen des EU Green Deal, dürfen nicht aufgeweicht werden.
 
Die aktuelle Situation macht es erforderlich, den Umbau des Energiesystems noch energischer als bisher voranzutreiben. Die politischen, rechtlichen und ökonomischen Rahmenbedingungen für die Akteure des zukünftigen Energiesystems sollten europäisch angelegt werden. Dabei sollten diejenigen EU-Mitgliedsstaaten vorangehen, deren Energieversorgung aktuell von Russland besonders abhängig ist. Prof. Dr. Schlögl nahm heute hierzu in Interviews in Phoenix TV und im mdr Radio Kultur Stellung.

Weitere interessante Beiträge

Zur Redakteursansicht